Mitbewohnen – Ein Einsteigerkurs

Basierend auf wahren Begebenheiten:

Wenn Sie mir auf den diversen sozialen Plattformen folgen, oder zu den regelmäßigen Lesern dieses Blogs zählen, dürften Sie bereits gemerkt haben, dass ich seit mittlerweile zwei Jahren in einem Studentenwohnheim lebe. Diese Studentenwohnheime haben im Allgemeinen eine höchst unangenehme Eigenschaft:

Man lebt mit anderen Menschen zusammen.

Ein äußerst ungünstiger Umstand, mit dem sich viele Studierende konfrontiert sehen. In den  letzten Jahren habe ich mittlerweile sieben Mitbewohner verschlissen und stellte fest, dass das gemeinsame Leben für viele Studierende eine hochgeheime Wissenschaft zu sein scheint. Um das zu ändern habe ich nun meine Erfahrungen mit den Mitbewohnern in eine kompakte Anleitung gegossen, in der Hoffnung, dass Ihnen die Irrwege erspart bleiben, denen sich meine Nachbarn und Mitbewohner konfrontiert sahen.

Der Einzug

Herzlich Willkommen im Studentenwohnheim. Es ist höchst wahrscheinlich, dass Sie sich Küche und/oder Bad mit mindestens einem Menschen teilen müssen. Auch sonst werden sie diesem Mitbewohner vermutlich häufiger begegnen. Daher empfiehlt es sich, sich bei ihm vorzustellen. Tun Sie das am besten selbst und vermeiden Sie nach Möglichkeit, dass ihre Mutter oder Studienbetreuerin dies übernimmt. Hier können Sie auch gleich klären, wie die gemeinsame Nutzung der Räume aussieht.
Zur Begrüßung empfiehlt sich ein einfaches „Hallo, ich bin  dein neuer Mitbewohner“. Sätze wie: „Ich habe deinen Kram aus den Küchenschränken in die Kiste gepackt, sonst hätten meine Ravioli nicht reingepasst“ sind zur Begrüßung eher weniger zu empfehlen – sofern es nicht Ihr Ziel war, die Nahkampffertigkeiten Ihres Mitbewohners zu testen.

Bekleidung

Augenscheinlich sollte das ein simpler Themenkomplex sein, trotzdem zeigten sich hier in der Vergangenheit immer wieder Schwierigkeiten. Um es kurz zu machen:

ZIEHEN SIE SICH UM GOTTES WILLEN ETWAS AN!

Sie leben mit einem fremden Menschen zusammen. Es mag Sie eventuell überraschen, aber er hat absolut kein Interesse, herauszufinden, wie Sie eigentlich unter der Kleidung aussehen. Auch wenn Sie unsicher sind, ob die Unterhose Ihnen steht, klopfen Sie nicht um  drei Uhr morgens bei ihm an und fragen Sie, ob er so mit Ihnen schlafen würde, wenn er eine Frau wäre. Wirklich nicht.
Sollten Sie ihre Wäsche wechseln, wozu ich dringend rate, deponieren Sie die dreckigen Teile an einem dafür geeigneten Ort. Ein Wäschesack in Ihrem Zimmer bietet sich an. Weniger geeignet sind hier Badezimmer, Duschkabinen, der Hohlraum hinter Heizkörpern, oder Kühlschränke.

Ordnung/Sauberkeit

Putzpläne sind eine wundervolle Sache. Zumindest wenn sich alle daran halten. Der Umgang mit ihnen scheint jedoch im höchsten Maße die Kreativität zu beflügeln. Glauben Sie mir. Es fällt auf, wenn Sie nur dann kochen oder duschen, wenn Sie nicht auf diesem Putzplan stehen.

Insbesondere beim Duschen.

Trotzdem entbindet so ein Putzplan nicht von einer gewissen Rücksichtnahme. Das züchten von eigenständigen neuen Evolutionsstufen lässt sich nicht dadurch begründen, dass Sie gerade nicht mit dem Saubermachen dran sind. Ebenso können Sie die Kaugummis in den Müll und nicht auf den Teppich spucken.
Pro-Tipp: „Ich bin nicht dran mit sauber machen!“ ist grundsätzlich immer die falsche Antwort, falls ihr Mitbewohner sie fragt, warum er bei der Rückkehr aus dem Urlaub in einen verwesenden Fischkopf getreten ist.

Privatsphäre

Verfügt ihr Raum über eine Zimmertür? Wenn nicht, die Nummer des Hausmeisters für Beschwerden finden Sie meist am schwarzen Brett am Eingang. Wenn ja, herzlichen Glückwunsch. So eine Tür bringt eine faszinierende Fertigkeit mit sich:
Man kann sie schließen.

Von dieser Nutzungsmöglichkeit sollten Sie ausgiebig Gebrauch machen, insbesondere dann, wenn Sie Besuch haben, Musik hören, oder gerade dabei sind, laut singend mit leeren Vodkaflaschen zu jonglieren. Vor allem wenn Sie laut singend mit leeren Vodkaflaschen jonglieren!

Geschlechtsverkehr

Es ist erfreulich, dass Sie trotz Ihres harten Studienalltags Zeit für Zwischenmenschliches finden. Auch hier gelten aber die Regeln der Privatsphäre und der Bekleidung.
Trotzdem scheint es bei diesem Thema immer wieder zur Konfusion zu kommen. Es bietet sich an, die gemeinsame Zeit im eigenem Zimmer zu verbringen. Auf diese Weise lässt sich am besten vermeiden, dass ihr Mitbewohner Sie auf der Küchenzeile erwischt. Sollte es sich aus unbekannten Gründen einmal nicht umgehen lassen, so vermeiden Sie nach Möglichkeiten, dabei sein komplettes Geschirr auf dem Boden zu verteilen. Ebenso empfiehlt es sich für das Wohnklima, davon abzusehen, die Dusche – und damit das gesamte Bad –, für einen gemeinsamen Nachmittag mit seinem Partner zu blockieren. Insbesondere wenn es sich hierbei um das einzige Bad handelt.
Außerdem zu vermeiden sind: Wohnheimflure, die Tür Ihres Mitbewohners (der dann überraschend doch zuhause ist), oder das Zimmer ihres Mitbewohners, das dieser vergessen hat abzuschließen.

Für die Entsorgung eventuell verwendeter Kondome rate ich zum Mülleimer, weder die Küchenspüle, noch der Briefkasten des Mitbewohners stellen hier einen angemessenen Ersatz dar.

Der Auszug

Sie haben genug vom Wohnheimleben? Stören Sie die wöchentlichen Feueralarme um drei Uhr morgens? Haben Sie sich mit der örtlichen Rattenpopulation zerstritten?

Der Auszug aus einem Wohnheim ist im allgemeinen unkompliziert, sofern die Formalien mit dem Vermieter außen vor gelassen werden. Nehmen Sie einfach alles mit, was sie hergebracht haben und verlassen Sie die Räume in einem, dem Ursprungszustand ähnlichen, Zustand.
Geschenke an den verbleibenden Mitbewohner sind zwar nett, aber fragen Sie ihn einfach vorher, ob er Interesse an der Sammlung 1A Altpapier oder der russischen Ziertellersammlung hat.
Sollten Sie entgegen der Empfehlung Ihre Unterwäsche doch hinter Heizkörpern aufbewahrt haben, denken Sie daran ,diese von dort auch beim Auszug mitzunehmen.

Abschließende Hinweise

Sollten sie für die Verarbeitung ihres Wohnheimaufenthaltes psychologische Hilfe benötigen, können Sie Adressen zu Therapieangeboten und Selbsthilfegruppen in jedem Krankenhaus, oder bei Ihrer Krankenkasse erfragen.

Ticker

+++ 02:13 Uhr: So langsam kehrt Ruhe ein im Zimmer des Benjamin F. Die Nachbarpartys lösen sich nach der dritten Androhung, die Polizei zu rufen, auf. +++

+++ 02:36 Uhr: Nach einigen dramatischen Szenen im Badezimmer, beendet Benjamin F. seinen Tag unter der Anwendung einer Familienpackung Gehörschutz und legt sich ins Bett. +++

+++ 04:11 Uhr: Unter der lauten Verwendung obszöner Begrifflichkeiten, verlässt Benjamin F. bekleidet mit Schlafanzug, Bademantel, Taschenlampe und Wollmütze sein Wohnheimzimmer. +++

+++ 04:14 Uhr: Beim Blick aus dem Fenster können wir Herrn F. dabei sehen, wie er lautstark mit einer Person diskutiert, die einen laufenden Laubbläser betreibt. Möglicherweise der Hausmeister des Wohnheims. +++

+++ 04:29 Uhr: Sichtlich um Fassung bemüht, bestätigt uns Herr F., dass es sich wirklich um den Hausmeister des Wohnheims handelt. Dieser hat zur Zeit bereits die Hälfte der Wiese vom Laub befreit. +++

+++ 04:57 Uhr: Trotz mehrfacher Bitten von Benjamin F. und anderen Wohnheimbewohnern, setzt der Hausmeister das Laubblasen weiter fort. Eine Stellungnahme lehnt er ab. +++

+++ 05:08 Uhr: Nachdem die Wiese vollständig von Laub befreit wurde, ziehen sich die Bewohner in das Wohnheim zurück. +++

+++ 05:11 Uhr: Herr F. sitzt mit einer Tasse Tee auf dem Fensterbrett und beobachtet unter manischem Kichern, wie der Hausmeister einen Sitzrasenmäher auf die Wiese fährt. +++

+++ 05:15 Uhr: Der Hausmeister beginnt mit dem Mähen des Rasens. Anwesenden Experten zufolge ist jedoch höchst umstritten, ob dies den Rasen zu dieser Jahreszeit unbeschadet lässt. +++

+++ 05:19 Uhr: Ein Bewohner des benachbarten Einfamilienhauses schafft es, einige Worte mit dem Hausmeister zu wechseln. Augenzeugen zu Folge habe dieser “verständnisvoll genickt”. +++

+++ 05:42 Uhr: Der Nachbar hat gemeinsam mit dem Hausmeister den Rasenmäher aufgebockt. Gemeinsam lösen sie unter dem mehrfachen Einsatz von Hämmern den Motor aus dem Mäher. +++

+++ 06:02 Uhr: Herr F. verlässt das Wohnheim mit einer gepackten Tasche und der Ankündigung “sich einen schön ruhigen Bahnhof zum Schlafen zu suchen”, sowie einer Erklärung, dass er nur von Irren umgeben sei. +++

+++ 06:28 Uhr: Der Nachbar hat eben in einer Stellungnahme erklärt, dass der Hausmeister von seiner Freundin rausgeworfen wurde “und nicht wusste, was er sonst tun sollte”. +++

Lustige Texte

“Eigentlich müsste ich mal wieder irgendwas Lustiges schreiben” denke ich mir und klicke auf Senden. Zwei Stunden an einer Mail geschrieben, in der ich versuche einer Mutter zu erklären, dass ihr Kind nicht Autist wurde um ihr eine reinzuwürgen. Während ich die Mail zu den Vorlagen kopiere, da ich sie sicherlich noch einmal brauchen werde, komme ich zum Schluss das in letzter Zeit einfach nichts Lustiges passiert.
“Nächste Station: Südkreuz”
Ich klappe mein Netbook zu und gehe zur Tür. Vor mir Frau, Kind und Kinderwagen im Leopardenmuster. Ich überlege einen kurzen Moment was von alledem schlimmer aussieht bis ein gleichgemusterter Mann sich an mir vorbeidrängt und mir diese Entscheidung abnimmt.


30 Minuten später stehe ich mit einer kalten Bratwurst und einer warmen Cola auf einer Wiese und frage, ob man denn in die Kirche rein könne, die das Denkmal ist, um das sich dieses Bohei zu drehen scheint. “Nicht alleine, das geht nur mit einer Führung.” Auf meine Nachfrage, wann denn die nächste Führung sei, zuckt er nur mit den Schultern “Heute überhaupt nicht. Nächste Woche, irgendwann”. Nachdem ich meine Wurst gegessen habe gehe ich an den Plakaten für den Tag des offenen Denkmals vorbei zu meinem Fahrrad.


Mit dem Wohnungsschlüssel in der Hand stehe ich 2 km später einem polnischem Wanderarbeiter gegenüber, der an meiner Zimmertür rüttelt. Während er mich anschreit was ich in seiner Wohnung will und warum ich einen Schlüssel habe streiten sich in meinem Kopf zwei Stimmen, ob ich ihn fragen sollte warum er nur eine Wollmütze trägt, oder ob ich doch eigentlich ganz froh ob der Tatsache sein sollte dass ich das nicht weiß. Bei der Frage, warum er meine Zahnbürste im Mund hat erübrigt sich diese Diskussion.


Die zweite Stimme gewann diese Diskussion und damit entgeht einem Therapeuten vermutlich ein sehr lukratives Geschäft. Beim Versuch mir Abendessen zu machen werde ich fast von einer Sackkarre mit Bierkisten überfahren. Ein mies gelaunter Fahrer pflaumt mich an ich solle mal nicht im Weg stehen, dass sei hier keine öffentliche Küche. Mein neuer Mitbewohner kommt mit meinem Rasierer in der Hand aus dem Bad heraus. Wenn ich schon in seiner Wohnung sitze solle ich doch nicht im Weg rumstehen, er erwarte schließlich Gäste. Während er mich fragt wo ich denn den Rasierschaum habe setze ich einen neuen Rasierer auf meine innere Einkaufsliste.


Es hämmert seit einer halben Stunde an meiner Zimmertür, nach einem langem Blick auf die Uhr und noch längerer Überlegung komme ich zum Schluss dass es vermutlich halb Sechs am Morgen ist. Nach einer weiteren Überlegung komme ich zum Schluss, dass die “AUFMACHEN” brüllende Stimme keinen polnischen Akzent hat und öffne die Tür. Der Hausmeister möchte wissen warum meine Spüle bei ihm vor der Bürotür steht. Nach einigen Minuten Nachdenken zucke ich mit den Schultern und klettere über zwei Skinheads hinweg zum Bad. Dort treffe ich meinen unbekleideten und unter der Dusche schlafenden Mitbewohner. Die beiden Stimmen in meinem Kopf scheinen wacher als ich zu sein und beginnen mit einer munteren Diskussion, ob ich wissen will, ob vor “unbekleidet” ein “wieder” oder ein “immer noch” gehört. Sie werden vom schreienden Hausmeister unterbrochen, dem einer der Skinheads grade auf die Füße gekotzt hat.
Als ich wieder zurück in mein Zimmer gehe höre ich, wie der Wanderarbeiter den Hausmeister anbrüllt, was er denn in seiner Wohnung zu suchen hat.

Posteingang

Guten Tag Herr Hawkeye!

Ihrem Twitter-Konto entnehme ich das sie Autist sind. Mein aufrichtiges Beileid dazu.

Ich bin Vorsitzender eines Buxtehuder Kleingartenvereins, der für sein diesjähriges Sommerfest ein Bühnenprogramm plant. Dafür suchen wir Menschen mit besonderen Begabungen. Bitte schreiben sie mir doch, welche autistischen Begabungen sie haben, damit ich schauen kann, ob sie in unser Programm passen.

Im Ausgleich für ihren Auftritt bieten wir ihnen an diesem Tag freie Verpflegung. Getränke sind selbst mitzubringen.

Mit freundlichen Grüßen,
Dietmar Heinze-Müller.

(persönliche Daten geändert)

ICE 842, Wagen 24

19:30 – Berlin Hauptbahnhof, Bahnsteig 13

T minus 28 Minuten, Durchsage Nummer drei, die uns auf die geänderte Wagenreihung des Zuges aufmerksam macht. Allgemeines Desinteresse. Ich klettere über zwei Kinderwagen, um rauszufinden wo mein Wagen voraussichtlich halten wird, und stelle mit Schrecken fest, dass ein kleiner Teil tief in mir sogar die Möglichkeit in Betracht zieht, dass dieser Plan stimmt.

19:42 – Berlin Hauptbahnhof, Bahnsteig 13

Zug fährt ein. Stehe tatsächlich an der richtigen Stelle. Erwäge für einen kurzen Moment, auf die Knie zu fallen und ob dieses Wunders religiös zu werden, verwerfe diesen Gedanken aber recht schnell, um nicht von der Masse überrannt zu werden, welche wütend schreiend zu ihren Wagen rennt und sich darüber aufregt, dass die Bahn sie nicht über die geänderte Wagenreihung informiert hat.

20:06 – Irgendwo hinter Spandau, Wagen 24

Eine bunt gekleidete Frau mit Katze auf dem Arm versucht mir zu erklären, ich säße auf ihrem Platz und sie wolle ja jetzt nicht bis Kiel auf dem Gang stehen. Nach einem kurzen Blick auf den Reiseplan bin ich nicht im falschen Zug, dafür aber anscheinend im falschen Film.

20:26 – Irgendwo hinter der dritten Kuh rechts

Gitte hat nun aufgegeben, dem gesamtem Wagen zu erklären, er würde im falschen Zug sitzen. Hätte ich einen Popcorn-Stand, wäre ich nun weit über alle BAföG-Freibeträge hinauskatapultiert worden und müsste meinem Steuerberater erklären, wie ich es als Student geschafft habe in den Spitzensteuersatz zu kommen. Gitte setzt sich jedenfalls breit grinsend auf den mittlerweile freien Platz mir gegenüber und freut sich wohl auf mein Gesicht wenn ich merke, dass ich im falschen Zug sitze.

20:54 – Wolfsburg Hauptbahnhof

Gitte schafft es, zwei einsteigende Nazis zu überzeugen, dass sie grade in den falschen Zug eingestiegen sind. Nachdem sie ausgestiegen sind, finde ich Gitte ein bisschen weniger schrecklich und lächle der an meinem Notebookkabel kauenden Katze freundlich zu.

20:56 – Immer noch Wolfsburg

Ein hektisch wirkender Zugbegleiter rennt durch den Wagon und sucht die Ursache des Brandgeruchs. Seine Miene hellt sich sichtlich auf, nachdem er die leicht qualmende Katze sieht. Gitte fragt, wie lange es wohl noch bis Kiel brauchen würde. Selbst Gittes Kleidung scheint bei der Antwort des Schaffners bleich zu werden und während der Zug losfährt, beginne ich nach akkubetriebenen Popcornmaschinen zu googlen.

21:20 – Kurz vor Hannover

Genieße die 5 Minuten Ruhe, seitdem Gitte aufgehört hat schreiend zu fordern, wir sollen den Zug sofort wenden. Gehe auf dem Weg zum Klo am panisch blickenden Zugbegleiter vorbei, der sich in einem Abteil vor der fauchenden und kratzenden Katze verschanzt hat und inzwischen mit der Bahnhofssicherheit von Hannover telefoniert.

21:35 – Hannover Hbf

Gitte und ihre Katze werden von je zwei Bahnmitarbeitern aus dem Zug getragen. Der Zugbegleiter klettert erleichtert in dem, was noch von seiner Uniform übrig ist, aus dem Abteil. Frage ihn, was es wohl kosten würde, eine Verkaufserlaubnis für Popcorn in der Bahn zu bekommen.

22:50 – Drei Milchkannen hinter Hamm

Vier Kisten Rotwein werden vom fröhlich singenden Ruderclub Fürstenbüttel hineingetragen.

22:59 – Eine Kiste Rotwein vor Dortmund

Kenne nun alle Variationen von “Ich hab ‘ne Zwiebel auf dem Kopf ich bin ein Döner”, unter meinem Tisch sitzt ein Zugbegleiter und schaukelt apathisch vor und zurück. Schiebe ihm unauffällig die Nummer der Telefonseelsorge zu.

23:30 – Essen Hauptbahnhof

Gehe an vier leeren Rotweinkisten und fünf vollen Ruderern vorbei zur Tür. Werde beim Rausgehen vom Zugbegleiter gebeten, den Brief mit seiner Kündigung am Bahnschalter abzugeben. Entschließe mich, dass es nun doch ein guter Zeitpunkt ist um religiös zu werden, und falle auf die Knie, um dann von einer Masse überrannt zu werden, die wütend schreiend zu ihren Wagen rennt und sich darüber aufregt, dass die Bahn sie nicht über die geänderte Wagenreihung informiert hat.

Montag

05:45
Jemand kotzt vor deine Tür, du wirst wach, weil er dabei im starken russischen Akzent rumbrüllt, dass er dir nicht absichtlich vor die Tür kotzt.

6:45
Im Halbschlaf hast du den Russen davon überzeugt, dass es irgendwie eine doofe Idee ist, bis morgen zu warten, und dass er es doch bitte sofort wegwischt. Nach einem Blick auf die Uhr wird dir klar, dass du die halbe Stunde Schlaf, die du jetzt noch haben könntest, besser durch einen halben Liter Kaffee und eine Dusche ersetzen solltest.

7:15
Der Russe hat sich während des Aufwischens noch zweimal übergeben und liegt jetzt schlafend neben dem Putzeimer in seinem eigenen Erbrochenen. Du steigst über ihn und gibst im Rausgehen dem Hausmeister Bescheid, dass da ein Betrunkener im Flur liegt.

8:30
Der Dozent der Vorlesung, die seit 8 Uhr gehalten werden sollte, schickt eine Mail, dass er sich wahrscheinlich 10 Minuten verspätet.

10:00
Der Professor für HTML beginnt, von Frames als Zukunft des Internets zu erzählen. Du fragst dich, wie viel Senf du wohl brauchst, damit der Tisch nicht mehr ganz so trocken schmeckt.

12:00
Das Mittagessen in der Mensa fällt aufgrund eines Brandes in der Küche aus. Als Alternative wird ein kaltes Salat- und Wurstbuffet für 5€ angeboten. Pro Teller.

16:00
Professor merkt nach einer halben Stunde, dass er im falschen Raum steht und erzählt. Du beginnst dich mit der Frage zu beschäftigen, was man eigentlich noch so studieren könnte.

18:45
Du steigst über den immer noch vor deiner Tür schlafenden Russen und das Sägemehl, das der Hausmeister über ihn und sein Erbrochenes gestreut hat. Beim Versuch den Rechner hochzufahren fliegen in der ganzen Etage die Sicherungen raus. Beim Rausgehen zum Sicherungskasten weckst du ausversehen den Russen, der fragt, ob du ein Bier für ihn hast.

19:45
Nachdem du die Sicherung wieder reingedrückt hast und seit einer Stunde versuchst, das Internet zum Laufen zu bekommen, gibst du auf und beschließt, dass es vielleicht doch eine gute Idee wäre langsam mal etwas zu essen. Vor deiner Tür hat der Russe sein Bier gefunden und singt die Melodie von Tetris.

19:55
Du stellst fest, dass der Grund dafür, dass du wieder im Dunkeln sitzt, diesmal nicht die Sicherung ist, sondern dass im Keller zwei BWL-Studenten beim Versuch den Flur zu wischen Wasser in den Hauptstromkasten gekippt haben.

20:05
Nach einem Telefonat mit dem Hausmeister bist du beruhigt, dass er sich in den nächsten Tagen darum kümmern wird.

21:00
Du versuchst aus den Resten in deinem Kühlschrank ein Essen zusammenzubasteln, für dessen Zubereitung du keinen Strom brauchst. Vor deiner Tür wird gerade der Deutsch-Russische Männerchor gegründet. Die Nationalhymne wird gesungen.

22:00
Deine verzweifelten Versuche, irgendwo in der Einöde so etwas wie mobiles Internet zu bekommen, gibst du auf. Vor deiner Tür wird die polnische Nationalhymne geübt.

01:15
Die Chorprobe wird mit freundlicher Unterstützung der Polizei, auf Empfehlung der Nachbarn hin, auf der nächsten Polizeiwache fortgesetzt. Da ist die Akustik besser. Du freust dich auf 4 Stunden Schlaf.

Entschuldigen Sie meine Rezension

Eine Art Buchbesprechung

Dann hast du auf einmal Ferien und erinnerst dich, dass du ja noch irgendwelchen Bekloppten aus dem Internet eine Rezension versprochen hast. Eigentlich sollte es kein Problem sein, sich da rauszuwinden. Einziges Problem: Irgendwer fand dieses Schlupfloch vor mir.

Objekt meiner ersten Buchbesprechung seit, dank meiner Übermotivation bei Hausaufgaben, eigentlich immer, ist das so genannte “Entschuldigen Sie meine Störung” von einem gewissen Jan-Uwe Fitz. Insgesamt ist dies wohl die längste Entschuldigung, die mir untergekommen ist. Sie erstreckt sich über ganze 287 Seiten.

Hauptperson des Wahnsinnsromans ist Jan-Uwe Fitz. Was ein interessanter Zufall ist, da der Autor den gleichen Namen trägt. Innerhalb dieses Buches finden sich interessante Einblicke in die aktuelle Polizeiarbeit und die artgerechte Haltung von Balkonen. Dazu konnte ich dank der außerordentlich gelungenen Anleitungen meinen Erfolg auf Partys verdoppeln – und das in nur der Hälfte der Zeit.

Außerdem liefert es eine Anleitung zum geeigneten Besuch von psychiatrischen Einrichtungen. Sollte hierzu im Vorfeld kein Bedarf vorhanden sein, so haben Sie mit dieser Lektüre gute Chancen, das zu ändern. Sollten Sie dieses Buch gelesen haben und keinerlei psychiatrische Behandlung benötigen, so empfehle ich ihnen dringend, einen Arzt aufzusuchen.

Es gibt zu diesem Zeitpunkt keinerlei wissenschaftliche Studien darüber, wie viele Gehirne man zum vollständigen Verständnis dieses Buches benötigt. Wenn Sie es selbst versuchen wollen, so empfehle ich, Ihre Gehirne vor und nach dem Lesen zu zählen, um eine bessere Vergleichbarkeit zu erzielen.

An einem Sonntag in Berlin

Wir sind heute in der glücklichen Situation, hier an einem scheuen Paar freilebender Senioren das komplexe Ritual des Fahrkartenerwerbes beobachten zu können. Nachdem sich das Paar vorsichtig nähert, wählt das Pärchen ein Mitglied des Automatenrudels aus. Zielsicher wählt es einen der wenigen gesunden Automaten.
Wenn Sie das Männchen nun beobachten, können Sie sehen, wie es umstehenden potenziellen Mitjägern allein durch Augenkontakt klar macht, dass es nun Anspruch auf die Beute erhebt.

Wir befinden uns nun an einem sehr kritischen Punkt. Häufig fielen gerade jüngere Exemplare der Spezies Homo Sapiens den Jägern zum Opfer, weil sie diese Signale zu spät wahrnahmen.
Beobachten Sie nun, wie das Pärchen sich langsam dem Automaten nähert. Langsam, um ihre auserkorene Beute nicht zu verschrecken. Nun stellt das Männchen den Kontakt her. Argwöhnisch berührt es das Display, sofort gefolgt von einem "Du machst das falsch" des Weibchens. Beachten Sie besonders, wie geschickt das Weibchen es schafft dabei so im Hintergrund zu bleiben, dass es sich nicht in die Gefahr begibt, die Führung übernehmen zu müssen.
Doch sehen Sie nun, meine Damen und Herren, obwohl die Situation so gut wie aussichtslos scheint, hat der Automat den Widerstand gegen seine Jäger nicht aufgegeben. Geschickt setzt er seine Menüführung ein, um das Pärchen zu verwirren. Erste Uneinigkeiten sind zwischen Männchen und Weibchen zu beobachten. An dieser Stelle ist gut zu erkennen, wie das Männchen durch den Einsatz der Menüführung zunehmend verwirrt erscheint. Dies könnte einer der seltenen Fälle sein, in denen der Automat es schafft nicht den Fahrgästen zum Opfer zu fallen.

Aber nun erleben Sie den zweiten Wendepunkt des heutigen Abends. Sie haben das seltene Glück, einen Bahnmitarbeiter unter Kunden zu erleben. Sie können sich glücklich schätzen,  dies ist ein seltener Anblick, den nur wenige Auserwählte erleben. Majästetisch schreitet er auf die Szene zu und beginnt die Führung des Angriffs zu übernehmen. Mit einigen geübten Handgriffen ist der nun hoffnungslos unterlegene und vollkommen wehrlose Automat in wenigen Minuten überwältigt. Triumphierend zieht das Männchen, dicht gefolgt vom Weibchen, mit seiner Beute in Richtung des Gleises, während der Bahnmitarbeiter sich in seinen Unterschlupf zurückzieht.

Zu Pseudonymen

Pseudonyme im Internet sind ein Thema, welches in letzter Zeit wieder zunehmend gerne auf die Bühne gezerrt wird. So lässt zum Beispiel Google+ seine Dienste nur noch zu, wenn man sich dort unter seinem realen Namen anmeldet. Auch die Politik scheint sich nichts sehnlicher zu wünschen, als dass man sich im Internet nur noch unter seinem vollen Namen äußern kann.
Ich möchte mich an dieser Stelle nicht in die politische Diskussion einklinken, sondern meine persönliche Sicht zu diesem Thema beitragen.

Die Ennomane schreibt in einem Text, den er im Rahmen seiner Google+-Sperre veröffentlichte:

Ich bin öfters gefragt worden, warum ich denn unbedingt “Die Ennomane” statt Enno Park heißen will. Will ich eigentlich gar nicht. Es geht nicht um mich. Was ich möchte, ist ein Exempel statuieren. Ich halte die Nutzung von Pseudonymen für ein Online-Menschenrecht, das als solches noch zu deklarieren ist. Klingt pathetisch, aber darunter mache ich es nicht. Nicht nur, weil schwule Iraner gut daran tun, ihre Identität zu verschleiern, und es ein sehr berechtigtes anliegen von Lehrern auch hierzulande ist, dass ihre Schüler nicht jeden Pups im Netz nachlesen – sondern auch, weil die Hoheit über die eigenen Identitäten (ich verwende bewusst den Plural) Sache des Einzelnen sein muss. Diese ganze Diskussion müssen wir jetzt nicht wiederholen – ich habe das alles schon woanders aufgeschrieben.

Damit vertritt Die Ennomane einen Standpunkt, der unabhängig von allen Google+-Diskussionen, meiner Meinung nach, sehr wichtig ist. Auch wenn wir hier in Deutschland nicht in einer Welt leben, in der Meinungsäußerung Gefahr für das eigene Leben bedeutet, so fangen die Probleme weitaus früher an.

Dieses Blog wird anonym geführt, genau wie mein Twitter-Account und der Realitaetsfilter. Wäre ich verpflichtet, dort meinen Realnamen anzugeben, würden sie nicht existieren. Was, mit Blick auf meine Klickzahlen, wohl nicht nur ich schade fände.
Ich mache als h4wkeye im Gegensatz zu meiner offiziellen Identität keinen Hehl aus meinem Autismus. Ich habe ihn offen in meiner Twitterbio stehen und blogge darüber. Im Alltag ist das anders. Gerade der Begriff Autismus ist da sehr vorurteilsbelastet. Wenn jeder, der meinen Namen kennt, beim Googlen von selbigem auf Autismus stoßen würde, hätte ich ein ernsthaftes Problem sowohl mit meinen Mitmenschen, als auch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dabei, später einen Job zu finden. Das Internet ermöglicht mir so einen offenen Umgang mit meinem Autismus, der anders nicht möglich wäre. Ein Umgang, der durch eine Klarnamenpflicht unmöglich wäre. Zumindest nicht, ohne dass das Leben mit meinen Mitmenschen tief beeinträchtigt wäre.

Hier ist Autismus nur ein Beispiel für ein Problem, welches vielen Personengruppen unangenehm werden könnte. Für dieses Problem muss man keiner Gruppe angehören, die mit gesellschaftlicher Akzeptanz zu kämpfen hat. Schon heute liest man regelmäßig von Menschen, die versehentlich unter Realnamen posteten und über Jahre hinweg mit den Auswirkungen zu kämpfen haben. Dies würde uns allen blühen, denn im Gegensatz zum bayrischen Stammtisch vergisst das Netz das Gesagte nicht nach dem dritten Bier, sondern nur in seltenen Fällen.

Versprechen

Er musste ihr versprechen nichts Unüberlegtes zu tun, bevor sie ihn gehen ließ.
Als er sich eine Stunde auf dem Geländer der alten Eisenbahnbrücke stand, war alles genau überlegt. Er hatte diese Stelle über Wochen hinweg ausgesucht. Dort wo er aufprallen würde, hatte er in den Vergangenen Woche keine Spur von Menschen ausmachen können. Das Einzige was dort unten lebte war ein Haufen Ameisenkolonien und die würden dafür sorgen, dass nicht mehr genug von ihm übrig bleiben würde. Er wollte nicht auch noch über sein Leben hinaus Menschen belasten.

Als er sich umdrehte und sich mit dem Rücken zuerst fallen ließ, sah er für den Bruchteil einer Sekunde in ihr Gesicht und sein Fehler wurde ihm bewusst:
Er hatte nicht an die Möglichkeit gedacht, dass sie ihm folgen könnte.